Mit dem Übertritt ins Berufsleben tauchen viele Fragen auf. Es gibt sie nicht, die eine Lösung für alle, vielmehr ist es eine Zeit der sehr individuellen Einzelfallentscheidungen. Überlegungen einer Mutter:
Werkstatt? Ja oder nein? Die Ansichten darüber werden teilweise sehr kontrovers diskutiert. Für alle die sich noch nicht so gut auskennen, will ich jetzt mal ein bisschen Licht ins Dunkel bringen. Denn für einige SchulabgängerInnen stellt sich diese Frage erst gar nicht. Auch für eine Werkstatt muss man in der Lage sein, ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeit leisten zu können. Nicht gleich am Anfang, aber zumindest nach dem Berufsbildungsbereich. Dieser dauert zwei Jahre, das ist sozusagen die Ausbildung in der Werkstatt und dann erst geht´s in den Arbeitsbereich.
Wenn schon nach dem Schulabschluss klar ist, dass ein Mindestmaß an verwertbarer Arbeit nicht erreicht werden kann, bieten die Förderstätten einen weiteren Entwicklungsweg. Der Klarheit halber muss gesagt werden, dass diese Angebote zur Orientierung auf Beschäftigung bieten (§219 Abs.3 SGB IX) und keine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben sind.
Wer die Werkstattfähigkeit besitzt, zeitlich und örtlich orientiert ist, zudem noch gewisse Tugenden wie zum Beispiel Motivation und einen angemessenen Umgang mit den KollegInnen mitbringt, dem/der stehen mehr Möglichkeiten offen: Ein Außenarbeitsplatz, ein Inklusionsbetrieb oder auch der allgemeine Arbeitsmarkt.
Dies sind neue Varianten, die immer mehr gewünscht werden. Seit dem 01.01.2018 können Menschen mit Behinderungen, die Anspruch auf eine Aufnahme in eine Werkstatt haben, die ihnen zustehenden Leistungen auch außerhalb der Werkstatt bei anderen Leistungsanbietern ( § 60 SGB IX ) in Anspruch nehmen ( Wahlrecht nach § 62 SGB IX).
Doch wo genau ist der Unterschied vom Arbeiten in einer Werkstatt zum Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt? Ich habe folgende Definition gefunden, die ich persönlich sehr spannend finde:
In einer Werkstatt ist die Arbeitsorganisation so aufgestellt, dass die Arbeit dem Menschen hilft. Findet sich eine beschäftigte Person nicht zurecht, wird der Arbeitsprozess angepasst oder sogar neu strukturiert.
Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt dient der Mensch der Arbeit, das heißt, es sind höhere Erträge des Arbeitsergebnisses zu erwarten – der /die ArbeitnehmerIn wird als variabler Kostenfaktor in einer Wertschöpfungskette gesehen, der das Risiko trägt, den Anforderungen nicht gerecht zu werden.
Bei den Gesprächen mit anderen Eltern fiel mir aber immer wieder auf, dass dies ein hoch emotionales Thema ist. Es stellten sich mir viele Fragen:
- Wie würde ich arbeiten wollen? Immer an der Leistungsgrenze, hundert Prozent, kurz vor dem Burn-out?
- Oder lieber etwas weniger fordernd und anstrengender, aber so, dass dafür noch Energie für Freizeit und Sozialleben bleibt?
- Lieber unter Gleichgesinnten oder mit Alleinstellungsmerkmal im sozialen Arbeitsumfeld?
- Wer will denn die Inklusion auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (die Eltern? die Jugendlichen? die Verwandten?) und welche Beweggründe führen dazu?
- Und ganz wichtig: Haben diejenigen selbst ein Kind mit Behinderung großgezogen?
Endgültig weggefegt waren meine Zweifel, als unser Sohn schließlich ein Praktikum absolvierte. Er stand morgens ohne Murren auf und war ausgeglichen als er nach einem langen Tag nach Hause kam. Ich spürte richtiggehend, dass es ihm gefiel, kurzum ich hörte auf mein Bauchgefühl. Für mich unvorstellbar den ganzen Tag Schokoladenfußbälle in Tüten zu verpacken oder Schrauben zu sortieren, für unseren Sohn aber offensichtlich genau das Richtige.
Da habˋ ich endgültig verstanden, um was es geht: Wo geht es unserem Kind gut und nicht, wo meinen wir, dass es ihm gut geht. Das macht unterm Strich den großen Unterschied!
Mit der Förderung schrittweise nach vorne gehen, ist sicherer als gleich zu überfordern. Unsere Entscheidung jedenfalls ist gefallen und ich habe auf alle Fälle Vertrauen in unseren Sohn und die Fachkräfte, die ihn täglich bestmöglich und kompetent begleiten.
Wir entscheiden uns bewusst für eine Werkstatt, da diese unserem Sohn den Schutz bietet, den er unserer Meinung nach benötigt. Zudem hat er dort die Möglichkeit neue Freunde kennenzulernen und sich in seiner Freizeit mit KollegInnen zu treffen, falls er das möchte. Sie ermöglicht ihm die Zugehörigkeit, die wir alle brauchen.
Vanessa Hauptmann