Werkstätten für Menschen mit Behinderung sind sinnvoll

Eltern haben jahrzehntelang für die Schaffung von WmbFs gekämpft. Nun stehen sie hart in der Kritik, doch die KritikerInnen vergessen oft, welchen Wert die Einrichtungen haben.

Derzeit gibt es viele Diskussionen und negative Beiträge in der Öffentlichkeit über Behindertenwerkstätten. Oft lautet der Vorwurf, die MitarbeiterInnen erhielten dort zu schlechte Bezahlung (Stichwort Mindestlohn) und die Inklusion sei mangelhaft. Oft wird argumentiert, das Recht von Menschen mit Behinderung auf selbstbestimmte Arbeit, von der sie leben könnten, würde in Deutschland nicht ausreichend umgesetzt, und viele befürworten eine Abschaffung der Werkstätten, um die Forderungen der UN-Behindertenrechtskonvention zu erfüllen.

Doch manche Vorschläge sind gut gemeint, aber kontraproduktiv, denn hier muss man wirklich differenzieren: Die GegnerInnen der Werkstätten, die in der Öffentlichkeit auftreten und die häufig auch selber Menschen mit Behinderung sind, haben oft eine Art der Behinderung, die sie kognitiv nicht einschränkt. Dass diese Menschen eine Gleichstellung und Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen fordern, verstehe ich sehr wohl, da sie ja in sehr vielen Fällen auch für ein Unternehmen des allgemeinen Arbeitsmarktes die gleiche Leistung erbringen können wie andere. Menschen mit einer geistigen Behinderung jedoch können das in den meisten Fällen nicht, vor allem, wenn die Behinderung schwerwiegender ist. Sie brauchen einen geschützten Rahmen, in dem sie am Arbeitsleben teilhaben können.

Als Mutter eines Sohnes mit geistiger Behinderung möchte ich die vielen positiven Aspekte einer WfbM ansprechen, die viel zu selten genannt werden und auch mir früher nicht bewusst waren.

Die Werkstatt bietet den Beschäftigten dort einen sicheren Arbeitsplatz, in einer geschützten Umgebung ohne Druck, und trägt so zu emotionaler Stabilität bei. Sie haben dadurch eine feste Tagesstruktur, Kontakt zu anderen Menschen und das Sozialverhalten kann erprobt werden. Auch wenn manchem von uns die Arbeiten in einer Werkstatt eher eintönig vorkommen, sind sie doch für die meisten Beschäftigten auf dem richtigen Level, so dass sie gut zu bewältigen sind und ein positives Gefühl verstärken, dass sie ihren Aufgaben gewachsen sind. Das Selbstwertgefühl eines Menschen wächst dadurch erheblich!

Auch die pädagogische Begleitung in einer WfbM ist meiner Meinung nach ein riesiger Pluspunkt. Wo auf dem ersten Arbeitsmarkt würde sich jemand so sehr um die Bedürfnisse der MitarbeiterInnen kümmern? Das wäre schon aus Zeit- oder finanziellen Gründen nicht möglich.

Zudem bietet z.B. die Lebenshilfe Werkstatt München auch zahlreiche Kurse zur Fortbildung an, die sich an den Interessen der Teilnehmenden orientieren, wie zum Beispiel eine Fußballgruppe, Kurse für Trommeln, kreatives Schreiben, Malen und weiteres. Zudem gibt es Kooperationen mit anderen Vereinen oder Einrichtungen, mit denen Projekte angeboten werden. Beispielsweise gibt es einen Austausch mit den jungen Fußballern des FC Bayern, oder mehrwöchige Theaterworkshops mit der Freien Bühne München bzw. den Kammerspielen. Diese Aktivitäten fördern Kreativität und Teilhabe sehr.

Die Vorteile von Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) sind aber auch abseits dieser psychosozialen Aspekte vielfältig, sie bieten den Beschäftigten Bildung und Arbeit und gleichen den Nachteil aus, dass viele Menschen mit Behinderung keine Berufsausbildung und keine Arbeit bekommen und dadurch oft nicht selbstbestimmt leben können.

In einer WfbM mögen die Menschen vielleicht nicht das Gehalt eines,einer Durchschnittsangestellten erhalten, doch sie bekommen durchaus andere vom Staat finanzierte Unterstützung, sei es in Form der oben erwähnten pädagogischen Angebote, Leistungen der Eingliederungshilfe, finanzielle Unterstützung für Wohnen und Lebensunterhalt oder Fahrkostenersatz. Und die WfbMs bieten den Beschäftigten eine Absicherung durch die Rentenversicherung und einen unkündbaren Arbeitsplatz.

„Werkstattbeschäftigte stehen zur Werkstatt in einem arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnis. Dadurch haben sie den Schutz eines Arbeitsverhältnisses, nicht aber dessen Pflichten. Sie sind beispielsweise nicht verpflichtet, in einer bestimmten Zeit eine bestimmte Arbeitsleistung zu erbringen. Sie können (wegen des Aufnahmeanspruchs) auch nicht entlassen werden. Aus dem arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnis folgt also ein besserer sozialer Schutz der Werkstattbeschäftigten “

(Zitat: https://www.einfach-teilhaben.de/DE/AS/Themen/Arbeiten/WerkstattBehinderungen/werkstattbehinderungen_node.html)

Wo auf dem ersten Arbeitsmarkt würde ein Mensch mit geistiger Behinderung all diese Leistungen bekommen? Wo auf dem ersten Arbeitsmarkt würde auf ihn und seine Bedarfe eingegangen werden? Wo auf dem ersten Arbeitsmarkt würde er nicht überfordert sein? Wo auf dem ersten Arbeitsmarkt könnte er die Leistung erbringen, die einE durchschnittlicheR ArbeitnehmerIn erbringen muss, um sein,ihn Gehalt zu verdienen? Wo auf dem ersten Arbeitsmarkt würde er überhaupt eine Arbeitsstelle finden?

Sicher gibt es auch Verbesserungspotential bei den WfbMs. Auf jeden Fall aber lohnt sich der Blick ins Detail und eine sorgfältige Abwägung der Konsequenzen, bevor man eine Abschaffung der Werkstätten fordert. Für mich jedenfalls wäre es ein schrecklicher Gedanke, wenn unser Sohn die Sicherheit der Werkstatt, in der er geschützt ist, aufgeben und auf dem ersten Arbeitsmarkt eine Anstellung finden müsste.

Emma Grün

© Lebenshilfe München e.V.

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