Wie Eltern herausfinden, was ihr Kind wirklich braucht.
Wenn Kinder mit Behinderung erwachsen werden und die Schule sich dem Ende nähert, stellt sich für viele Eltern die Frage, wie es weitergeht. Und besonders bei Jugendlichen, die sozusagen im Grenzbereich sind oder diskrepante Fähigkeitsprofile haben, fällt die richtige Einschätzung oft schwer. Auch uns ging es so, denn unser Sohn Max wirkt auf Außenstehende meistens ganz „normal“, er hat viele positive Eigenschaften, die oft davon ablenken, wo seine Schwierigkeiten liegen. Er ist zum Beispiel sehr offen und freundlich, kann sehr gut sprechen, kann selbständig mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fahren, und ähnliches. Er vermittelt so den Eindruck, dass er mehr bewältigen kann, als es der Realität entspricht.
Unser Ansatz war meist: Wir wollen ihn fördern, aber auch fordern, mit dem Ziel, dass er ein zufriedenes, ihm entsprechendes Leben führen kann. Auf dieser Basis haben wir die jeweils anstehenden Entscheidungen getroffen – auch die für den Weg ins Berufsleben.
Um es vorwegzunehmen: Ich glaube, auch wir als Eltern haben ihn in manchen Dingen überschätzt.
Von klein an war Max eigentlich immer in integrativen Einrichtungen (Kinderkrippe und Kindergarten). Das funktionierte auch bis zum Schuleintritt sehr gut.
Mit dem Schuleintritt ging dieses Konzept nicht mehr so gut auf. Er besuchte eine Waldorf-Förderschule mit Förderschwerpunkt „Lernen“. Die kleinen Klassen, die Waldorf-Pädagogik und das Engagement der LehrerInnen boten Max einen guten Rahmen während seiner Schulzeit, obwohl das Vermitteln von Lerninhalten auch hier nicht immer einfach war.
Zum Ende der Schullaufbahn wurde ein zusätzliches 10. Schuljahr angeboten, mit dem Ziel, einen Abschluss des Bildungsgangs Lernen zu machen. Bei diesem Abschluss gibt es theoretische Prüfungen, vor allem aber einen Schwerpunkt auf dem praktischen Teil, der schwerer gewichtet wird. Unser Sohn machte die praktische Prüfung im Fach Hauswirtschaft. Dabei ging es darum, für ein Essen zu planen, einzukaufen, es dann zu kochen und zu servieren – all das unter Einbringung der während des Schuljahres behandelten Lehrinhalte. Von Seiten der engagierten Lehrer gab es viel Unterstützung und natürlich übten auch wir als Eltern mit unserem Sohn immer wieder das Wiegen, Messen, Schneiden, Kochen – Gnocchi mit Tomatensoße stand danach bei uns dann längere Zeit nicht mehr auf dem Speiseplan.
Schon während dieser Zeit wurde deutlich, dass ihm viele dieser Dinge sehr schwer fielen: konzentriertes Lernen, Planung von Handlungsabläufen, Handhabung von Werkzeugen, Ausdauer und strukturiertes Arbeiten machten ihm große Schwierigkeiten. Für Menschen, die solche Defizite nicht haben, hört sich die Aufgabe leicht an: Koche ein Nudelgericht für vier Personen. Für Max allerdings stecken darin so viele Schwierigkeiten, dass es für ihn eine sehr schwere Aufgabe war, die nur mit viel Anstrengung und Hilfestellungen bewältigt werden konnte.
Aber er bestand die Prüfung und war natürlich auch stolz darauf – ebenso wie wir.
Nach der Schule wurden wir von einem Berater des Arbeitsamts über die weiteren Möglichkeiten beraten (ehrlich gesagt waren das nicht so viele) und entschieden uns für eine Ausbildung im Berufsbildungswerk. Das klang für uns ganz plausibel, denn das BBW bietet berufliche Bildung und Integration für junge Menschen mit besonderem Förderbedarf an. Konkret bedeutet das, dass man während eines Erprobungsjahrs verschiedene Ausbildungsberufe ausprobieren kann und danach dann eine 3-jährige Ausbildung zu einem Ausbildungsberuf bzw. einer vereinfachten Form davon macht. Ziel ist dann eine Tätigkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt.
Auch hier zeigte sich, dass unser Sohn deutlich schwächer war als die meisten anderen.
Auch hier waren die AusbilderInnen engagiert, aber unterbesetzt. Max machte eine Ausbildung zum Fachpraktiker Hauswirtschaft, auch weil alle anderen Ausbildungsberufe für ihn zu schwer waren (vieles erforderte z.B. Rechnen, genaues Arbeiten etc).
Am Ende der Ausbildungszeit gab es dann eine Prüfung mit praktischem Schwerpunkt, die er im ersten Anlauf nicht bestand, bei der Wiederholung während der Corona-Zeit im Winter 2021 dann aber schon. Ich muss dazu sagen, dass alle Beteiligten ihn sehr wohlwollend unterstützt haben und er beim zweiten Versuch auch die Prüfung nicht mehr in einer externen Einrichtung, sondern im BBW machen konnte. So gelang es ihm tatsächlich, einen Abschluss zu machen.
Danach versuchten wir für Max einen geeigneten Arbeitsplatz zu finden, das Arbeitsamt unterstützte uns sehr, mit Weiterbildungsmaßnahmen und bei der Arbeitssuche, denn es war auch klar, dass Max keinen „normalen“ Arbeitsplatz brauchte, sondern einen, bei dem auf seine Beeinträchtigungen Rücksicht genommen werden konnte. Ich versuchte, bei karitativen, oder Fördereinrichtungen Praktika für ihn zu bekommen, was auch gelang. Doch obwohl all diese Praktika in der Hauswirtschaft/Gastronomie eigentlich keine allzu hohen Anforderungen stellten – wie wir dachten – und viele davon sogar für Menschen mit Behinderungen ausgelegt waren, führte keines dieser Praktika zu einem Job-Angebot, bei manchen wurde das Praktikum sogar vorzeitig beendet.
Während dieser Zeit entwickelte Max auch immer wieder Magen-Darm-Probleme, wurde immer wieder krank, mitunter auch fast depressiv. Es ging ihm einfach nicht gut und wir glauben, dass dies auch mit dem psychischen Druck der Überforderung zu tun haben könnte.
Uns wurde dann klar, dass es auf dem ersten Arbeitsmarkt einfach überhaupt nicht funktionieren würde, und dass er doch einen viel geschützteren Rahmen brauchte, als wir dachten. So kamen wir schließlich zur Lebenshilfe-Werkstatt, die Max schon von einem Praktikum aus der Schulzeit kannte. Wir vereinbarten eine Probe-Woche, damit beide Seiten beurteilen können, ob dies eine Möglichkeit wäre. Unser Sohn war sehr positiv gestimmt und fand die Idee, dort zu arbeiten sehr gut. Seit etwa einem Jahr ist er nun dort und wird, wie wir finden, sehr gut begleitet – und was für uns das Wichtigste war, er scheint sich wohl zu fühlen, ist wieder viel fröhlicher und auch seine Krankheiten haben sich seitdem gebessert.
Emma Grün